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Beitragsbild: Versammlungsfreiheit gegen Gebühr? Die Polizei bittet zur Kasse

Versammlungsfreiheit
gegen Gebühr?
Die Polizei
bittet zur Kasse

30.9.2019

Fußball – ein teurer Spaß

Rund 425.000 Euro – so viel wollte die Freie Hansestadt Bremen gerne von der Deutschen Fußball Liga GmbH (DFL) dafür haben, dass die landeseigenen Polizeibeamten ein sogenanntes „Hochrisikospiel“ der Herrenmannschaft des Vereins Werder Bremen gegen die Lokalrivalen vom Hamburger SV am 19. April 2015 begleitet haben. Dabei stützte sich das Land Bremen auf § 4 Abs. 4 seines Gebühren¬ und Beitragsgesetzes. Demnach können Veranstalter*innen einer gewinnorientierten Veranstaltung zur Kasse gebeten werden, wenn an der Veranstaltung voraussichtlich mehr als 5000 Personen gleichzeitig teilnehmen und erfahrungsgemäß Gewalttaten zu erwarten sind. Die DFL klagte gegen den Gebührenbescheid und bekam zunächst vom Verwaltungsgericht (VG) recht. Aus den entsprechenden Kostenverordnungen des Landes lasse sich nicht klar genug entnehmen, in welcher Höhe eine Gebühr erhoben werden kann. Zudem hatte das Land dem Verein vorab eine viel zu niedrig angesetzte voraussichtliche Gebührenhöhe mitgeteilt (250.000 bis 300.000 Euro). Damit hatte das Verwaltungsgericht aber die entscheidende Frage ausgeklammert: ob es überhaupt rechtlich zulässig ist, die Gebühren für einen Polizeieinsatz auf eine*n Veranstalter*in umzulegen. Nachdem das Oberverwaltungsgericht die Entscheidung des VG aufgehoben hatte, wendete sich der Verein an das Bundesverwaltungsgericht. Dieses entschied mit Urteil vom 29. März 2019 (BVerwG 9 C 4.18), dass Gebühren von Hochrisikospielen den Veranstalter*innen in Rechnung gestellt werden können. Zwar müsse grundsätzlich berücksichtigt werden, dass die Gebührenpflichtigen bereits Steuern für staatliche Grundleistungen zahlen, wie die Herstellung von Sicherheit durch die Polizei. Hier handle es sich aber um einen atypischen Zusatzaufwand, der zudem für eine gewinnorientierte Veranstaltung anfällt. Entscheidend sei dabei auch, dass nur der Mehraufwand eines „Hochrisikospiels“ berechnet werde, also die Differenz zu den Kosten eines gewöhnlichen Fußballspiels.

Auch für Linke?

Für Linke stellt sich natürlich die Frage, ob das auch für die eigenen Veranstaltungen – insbesondere Demonstrationen – relevant werden kann. Dazu ist zuerst festzustellen, dass die Rechtsgrundlage für die Gebührenerhebung aus dem Bremischen Landesrecht stammt und erst 2014 eingeführt wurde. Andere Länder haben bisher noch keine entsprechenden Regelungen erlassen und mehrere Länder haben bereits mitgeteilt, dass sie dies auch nicht vorhaben. Darüber hinaus war für die Abwägung des Bundesverwaltungsgerichts entscheidend, dass es sich um eine kommerzielle Veranstaltung handelte, wie es die entsprechende Norm des Bremischen Gebühren¬ und Beitragsgesetzes auch voraussetzt. Unter diesen Voraussetzungen wird die Gebühr nämlich in der Regel in einem angemessenen Verhältnis zu den Einnahmen der Veranstaltung stehen. Davon ist zumindest bei Demonstrationen nicht auszugehen. Zudem wäre es aber auch fragwürdig, ob es mit der Verfassung zu vereinbaren ist, eine unter der Versammlungsfreiheit stehende Veranstaltung in der gleichen Weise mit Kosten zu belegen. Wenn die Durchführung einer Versammlung mit unkalkulierbaren Kosten einhergeht, könnte das eine abschreckende Wirkung auf Bürger*innen haben, ihre verfassungsmäßigen Rechte wahrzunehmen. Linke Demonstrationen und kommerzielle Fußballspiele unterscheiden sich in rechtlicher Hinsicht also wesentlich und eigentlich dürften sich die Überlegungen aus der aktuellen Entscheidung nicht auf Versammlungen übertragen lassen.

Ist das Politik oder kann das weg?

Gleichwohl versucht der Staat auch jetzt schon immer wieder, das Demonstrieren zu einer kostenpflichtigen Angelegenheit zu machen. Dabei stechen vor allem zwei Fallgruppen hervor: Zum einen werden gelegentlich Gebühren für den Verwaltungsaufwand bei der Ausstellung von Versammlungsauflagen verlangt, zum anderen kommt es vor, dass den Veranstalter*innen von Versammlungen die Straßenreinigung in Rechnung gestellt wird. Beide Vorgehensweisen sind rechtlich nicht abschließend geklärt. Eine grundsätzliche Gebührenpflicht für die Ausstellung eines Auflagenbescheids hält das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) jedoch für verfassungswidrig. Denkbar seien diese höchstens, wenn die Anmelder*innen selbst (und nicht etwa Versammlungsteilnehmer*innen) eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung verursacht haben und ein Rechtsgut bedroht ist, das im jeweiligen Fall Vorrang vor der Versammlungsfreiheit hat. Nur bei Auflagen, die solche Gefahren abwehren sollen, wären gebührenpflichtige Auflagenbescheide überhaupt denkbar und schon gar nicht, wenn die Gebühr Betroffene davon abhalten kann, Versammlungen durchzuführen. Wann das genau der Fall ist, klärt das BVerfG in der Entscheidung, auf die wir hier Bezug nehmen, leider nicht. Eine gewisse Tradition hat es auch, den Veranstalter*innen von Versammlungen Straßenreinigungsgebühren in Rechnung zu stellen. Anlässlich von Medienberichten, dass dies im September 2018 im Zusammenhang mit einer Demonstration gegen das neue Polizeigesetz in Niedersachsen geschehen sei, haben grüne Abgeordnete im niedersächsischen Landtag eine kleine Anfrage an die Landesregierung gestellt und gefragt, wie oft dies vorkomme: Sieben Mal in den letzten fünf Jahren in Niedersachsen, so die Antwort; davon betrafen mindestens fünf Fälle linke Demonstrationen im weiteren Sinne. Das ist zwar nicht besonders viel, zeigt aber, dass es sich um ein reales Phänomen handelt. Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass es grundsätzlich möglich ist, die Kosten der Straßenreinigung auf die Veranstalter*in einer Demonstration umzulegen, sofern diese*r die Verunreinigungen unmittelbar verursacht hat, wofür beispielsweise sprechen kann, wenn sie Verpflegung ausgegeben oder Flyer verteilt hat. Damit haben wir noch gar nicht angefangen, über die Abwälzung von Einsatzkosten auf „Störer“ zu reden, die durch gewaltfreien Widerstand gegen polizeiliche Anordnungen von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen, was spätestens seit den Anti¬AKW¬Protesten der 80er Jahre zu einem Thema geworden ist.

Es geht um die Demonstrationsfreiheit

All das ist äußerst problematisch. Im juristischen Schrifttum wird zwar mantrahaft behauptet, dass von so niedrigen Gebüren keine Abschreckung zu erwarten sei. Es findet sich auch die abwegige Behauptung, derartige Gebühren würden die Versammlungsfreiheit nicht beeinträchtigen, weil sie nicht das Recht zur Durchführung der Versammlung als solches infrage stellen würden. Allerdings kann sich wohl jede*r selbst denken, welchen Effekt auch eine Verwaltungsgebühr im mittleren zweistelligen Bereich und erst recht teure Straßenreinigungskosten zum Beispiel auf Minderjährige oder Hartz¬IV-Empfänger*innen haben dürfte. Doch Demonstrationsfreiheit darf nicht nur für diejenigen gelten, die es sich leisten können! Auch wenn es eine neue Dimension hätte, sogar die Kosten für ganz reguläre Polizeiarbeit auf die Veranstalter*innen von Demonstrationen umzulegen, würde es an die skizzierte, problematische Entwicklung anschließen, die Demonstrationen zu einer Sache für Begüterte macht. Dazu leistet das aktuelle Urteil des Bundesverwaltungsgerichts insofern einen Beitrag, als es bestätigt, dass überhaupt die Möglichkeit besteht, Polizeieinsätze Veranstalter*innen in Rechnung stellen zu können – auch wenn diese selbst nicht die Urheber*innen der Gefahren sind, die den Polizeieinsatz überhaupt erst nötig gemacht haben. Sollte dieser Gedanke auf Versammlungen übertragen werden, bliebe von der Versammlungsfreiheit nicht mehr viel übrig. Auch wenn sich die Lage von linken Demonstrationen und Fußballvereinen unterscheidet, ist auch Repression durch Kostenbescheide für Demoveranstalter*innen ernst zu nehmen und solidarisch und kollektiv aufzufangen. Gerade wenn sich diese Vorkommnisse häufen sollten und die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit von finanzieller Privilegierung abhängig gemacht würde, dürfen wir einzelne linke Strukturen damit nicht allein lassen. Gleichzeitig müsste es auch politisch darum gehen, den deutschen Staat daran zu erinnern, dass Grundrechte nicht unter Kostenvorbehalt stehen.

1 BVerfG, Beschl. v. 25. Oktober 2007 ¬ 1 BvR 943/02, Rn. 36 ff. Zu diesem Maßstab und seiner (fragwürdigen) Anwendung gegen eine antifaschistische Kundgebung in Pforzheim vgl. Maria Seitz, Versammlungsrecht gegen Bares. Zur Konstruktion versammlungsrechtlicher Auflagengebühren, in: Forum Recht 2010, S. 101-103. 2 Antwort des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport v. 15.02.2019, Drs. 18/2867. 3 BVerwG, Urt. v. 6. September 1988 ¬ 1 C 71.86. 4 Hierzu schreibt exemplarisch bereits 1984 der spätere schleswig¬holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert, Polizeikosten gegen Demonstranten, in: Kritische Justiz 1984, S. 314331. 5 BVerwG, Urt. v. 6. September 1988 ¬ 1 C 71.86, Rn. 11.

Artikel von Justice nulle part

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